Treseburg vom “Weißen Hirsch” betrachtet 23.05.2017
Es war Ende März und ich stand im Ortskern von Treseburg, einem verträumten Nest mitten im Harz, an einem
Kreisverkehr und blickte nach oben. Das kleine Örtchen schmiegt sich zwischen die Berge, wo das allseits bekannte
Bode-Tal, von Thale gesehen, zu Ende scheint. Doch eigentlich beschreibt die Bode im Ort nur einen Bogen, denn sie
kommt aus einem Seitental und fließt weiter nach Thale. Ich stand also zwischen all den schmucken Fachwerkhäusern,
das Seitental im Rücken, und schaute nach oben. Da steht ein riesiger Stahlmast und ich dachte damals, von da müsste
man einen schönen Blick nach unten und über das Tal haben. Im März weigerten sich meine Knochen noch, dort hinauf
zu klettern, um dann wieder hinab steigen zu müssen und außerdem ruhte sich die Natur noch in grauen Farbtönen aus.
Doch schon damals spielte die Erkenntnis mit, so eine Wanderung einfach um einige Tage oder Wochen verschieben zu
können. Inzwischen realisiere ich wohl auch, dass dies hier mein neues Zuhause geworden ist.
Heute ist nun der Tag gekommen, auf den das Vorhaben, gänzlich unbewusst, verschoben wurde. Die Idee, wieder
einige Kilometer zu wandern, kam nach dem Frühstück und damit auch der Plan, diesmal von oben auf Treseburg
blicken zu wollen. Eine Wanderung zu diesem Stahlmast, so der Plan, um von da hinab in das Tal zu blicken, das jetzt
sicherlich von satten Grüntönen und der aufblühenden Natur dominiert sein würde. Von Halberstadt bis zum Abzweig am
Hexentanzplatz, oberhalb von Thale, fährt man keine halbe Stunde. Zwei Kilometer weiter findet man einen kleinen
Rastplatz am Waldrand. Hier stellen wir die alte „Schüttel“ ab, schultern unsere Rucksäcke und starten zur
Erkundungstour in neue unbekannte Waldgebiete. Unsere Hundedame Lily ist auch wieder dabei.
Schon nach wenigen Minuten verschlucken die dicht gewachsenen Bäume den Lärm der Straße. Es ist still, nur die Vögel
singen ihre Lieder und mitten auf dem Weg sonnt sich eine Blindschleiche. Die Stille wirkt wie das Drosseln eines
Motors, wenn man von der Autobahn runter fährt. Meine Füße laufen wie von selbst wieder ihren Takt, als würden sie
sich mit der Natur abstimmen. Auf solchen Wanderwegen abseits der Touristenströme trifft man nur selten einen
Menschen und wenn, sind es Einheimische. Sie kennen diese einsamen Wege und vielleicht haben sie auch die Zeit, sie
aufzusuchen. Tourismus, das beobachte ich jetzt immer öfter, ist im Grunde eine einzige Hatz von Ort zu Ort, von Kick
zu Kick, wie das neue Harz-Drenalin mit der überlangen Hängebrücke eindrucksvoll beweist.
An einer Kreuzung lichtet sich der Wald. Hier duckt sich das Pfeil-Denkmal unter die Baumkronen und für die
Stempelstelle 68 steht ein kleiner Kasten dabei: „Frag die Bäume, wie sie erzogen sein wollen, sie werden Euch besser
darüber belehren, als es die Bücher tun“, so lautet eine Maxime von Wilhelm Pfeil, einem Forstpraktiker und
Wissenschaftler, dem das Denkmal gewidmet wurde. Dieser Waldplatz befindet sich auf 470 Meter und ist den
Wanderern gleichzeitig ein Rastplatz (und kleinen Hunden eine Gelegenheit zum Saufen).
Hier verlassen wir die geplante Route für einen kleinen Abstecher zum Dammbachhaus, eine einstige Jagdresidenz des
Kronprinzen Wilhelm von Preußen. Der wusste offensichtlich die Ruhe der Natur zu schätzen, wohl aber auch deren
reichhaltigen Tierbestand zu jagen. Das inzwischen sanierte und gut abgeschirmte Gelände - sogar ein Sicherheitsdienst
beschützt den Wald vor den Gästen - diente auch „uns Honni“ als einsames Versteck mitten im Wald. Ich stehe vor
diesem wuchtigen Stahltor und muss erkennen, dass Privatbesitzer nicht viel bürgerfreundlicher agieren, als alle
vorherigen Monarchen. Da ist die Sehnsucht nach Freiheit, aus meiner bescheidenen Sicht, wohl gründlich daneben
gegangen! Die Linse meiner Kamera schießt das Erinnerungsfotos durch dicke stählerne Zaunslatten hindurch.
Zurück auf der geplanten Route führen die Schritte jetzt, im wahrsten Sinne des Wortes, tiefer in den Wald hinein und
ich ahne, dass ich hier auch wieder hoch muss. Am Wegesrand plätschert ein kleines Bächlein und Lily lässt sich vom
frischen Wasser locken. Es riecht nach feuchtem Holz, nach Moos und etwas später nach Waldmeister. Der steht hier
überall am Rand und verbreitet seinen verführerischen Duft. Wir laufen an dicht gewachsenen Waldflächen vorbei und
gelangen irgendwann an eine weitere Weggabelung. Links führt der Weg hinab in Richtung Treseburg, geradeaus immer
weiter in den Wald hinein und mittendrin führt ein schmaler Pfad weiter. Auf ein Schild steht „Weißer Hirsch“
geschrieben und diesem Hinweis folgen unsere Schritte. Wenig später blinzelt zwischen den Baumkronen ein hoch
aufragender Stahlmast hindurch. Wir sind unserem Ziel endlich nah.
Am Mast angekommen, muss ich erkennen, dass unser Ziel noch etwas weiter dahinter zu suchen ist. Dorthin führt nur
ein schmaler Trampelpfad über Wurzeln und Steine. An dessen Ende öffnet sich der Wald, ich stehe oberhalb eines
Aussichtsplatzes und vor mir liegt die ganze Schönheit dieser Gegend, wie auf einer riesigen Eisenbahnplatte von Piko
aus Kinderzeiten, ausgebreitet. Hubert von Goisern würde einen „Juchitzer“ jodeln, ich stehe einfach nur hier oben, drei
Meter unter mir zwei Bänke, und darunter die ganze Schönheit der Landschaft, und staune Bauklötzer. Es ist ein
Traumbild und einfach nur berauschend schön!
Erst einmal setzen, Lily Wasser geben und dann gucken. Ich kann es einfach nicht glauben, was Natur und Harz wieder
einmal zu bieten haben. Da sitze ich auf einer Bank, zwei Meter vor mir geht es steil abwärts, gegenüber blicke ich auf
die Berge und direkt in das hintere Bode-Tal hinein. Wie zu meinen Füßen liegt Treseburg ausgebreitet. Ich sehe den
Kreisverkehr, das Gasthaus „Rübezahl“ und auch die Pension der freundlichen Dame, die ich fragte. Ich kann den Zufluss
der Luppbode in die Bode sehen und einen Angler, der in der Bode stehend, sein Glück versucht. In diesem Augenblick
kommt ein Bus und ich sehe Leute aussteigen. Das ganze zierliche Häuserensemble liegt eingebettet zwischen grünen
Bergen, die sich weit bis unter den Horizont ziehen und in der Ferne ist die Silhouette des Brocken zu bestaunen. Ich
weiß gar nicht, warum es Touristen stets zu den gleichen Plätzen hin zieht, wenn es, überall im Harz versteckt, solche
schönen und ruhigen Flecken zu bestaunen gibt. Egal, ich genieße die Stille, diesen Ausblick und möchte am liebsten
Meister Goethe aus „Faust I“ zitieren:
„Werd’ ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehen!“
Doch ich bin nicht Faust und Mephisto treibt es weit von hier mit den Hexen, denke ich. Nachdem wir uns am Augen-
und Anblick satt gesehen haben, geht es nun auf den Rückweg. Es gibt leider keine zweite Route, um zum Parkplatz zu
gelangen. Also wandern wir gemütlich, immer den Hund zwischen unseren Beinen, den gleichen Weg noch einmal.
Dennoch sind es andere Blicke, andere Entdeckungen und andere Eindrücke, die uns begleiten. Vorbei an einer kleinen
Hütte zur Rast, wieder tief hinunter in den Wald und den langen, steilen Weg wieder hoch bis zum Pfeil-Denkmal.
Diesmal allerdings bin ich durchgeschwitzt und meine Füße melden sich mit Warnsignalen. Als wir nach gut drei Stunden
am Parkplatz eintreffen, ist die Sonne verschwinden und der blaue Himmel hat nun einen grauen Vorhang bekommen.
Einsteigen und Lily fällt müde in Frauchens Schoß. Es ist schon erstaunlich, was die kleine Hundelady in ihrem 14.
Lebensjahr alles mitmacht. Die kleinen Füße haben sicher mehr geleistet, als meine zwei alten Staken, die durch ein
Paar Schuhe gut geschützt sind und inzwischen brennen, als wäre ich mit ihnen über glühende Kohlen gelaufen. Für
heute haben die kleinen und großen Beine Ruhe, doch an neue Pläne wird bereits gedacht. Es gibt noch viele schöne
Flecken zu entdecken und Wege zu gehen.
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.